Künstliche Intelligenz in AusstellungenInterpretation von Geschichte
Darstellungen von Geschichte sind immer Konstruktion und Interpretation. So können auch unsere acht Protagonist*innen nur Interpretationen ihrer historischen Vorlagen sein, die von unserer heutigen Erfahrungswelt geprägt sind. Gerade über Menschen, die sich in der sozialen Hierarchie unten befanden, ist oft nur wenig überliefert. Und selbst das, was wir aus Quellen wissen, ist häufig subjektiv und teils abwertend und sagt uns nur wenig über das äußere Erscheinungsbild und das innere Gefühlsleben der Personen. Unser Ziel ist es daher nicht, endgültige Antworten zu liefern, sondern die Fantasie unserer Besucher*innen anzuregen.
Die Rolle von Künstlicher Intelligenz
Dies ist dank Künstlicher Intelligenz (KI) möglich. In einer einzelnen Figur lässt sich ein Spektrum von Bedeutungen und Interpretationen vereinen. Wir setzen KI als zeitgemäßes Mittel ein, um eine moderne Interpretation der Geschichte zu erzeugen und als solche sichtbar zu machen. KI ist eines von mehreren Werkzeugen bei der Kreation der historischen Figuren – die eigentliche Denkleistung bei der Annäherung an die historischen Persönlichkeiten liegt weiterhin bei uns. Basierend auf dieser inhaltlichen Arbeit formulieren wir Aufgabenstellungen bzw. Befehle, sogenannte Prompts, mit denen wir den Prozess der Bildgenerierung steuern.
Unser Verfahren: Der Einsatz von KI-Bildgeneratoren
Hierbei arbeiten wir mit einer Kette von KI-Bildgeneratoren, deren zentrales Element die Open-Source-Anwendung Stable Diffusion ist. Solche KI-Modelle basieren auf „Deep Learning“, einer Form des maschinellen Lernens, und können auf Basis derjenigen Bilder, mit denen sie trainiert wurden, ähnliche Darstellungen erstellen. Der Prompt beschreibt dabei das gewünschte Bild. Dieser Prozess gestaltet sich dialogisch: Die KI generiert entlang unserer Eingaben mehrere Bildvarianten, anhand derer wir erkennen, wie der Prompt weiter präzisiert werden muss.
Das Ergebnis dieser Herangehensweise sind Kunstfiguren, wie sie auf anderem Weg kaum entstehen könnten. Sie sind keine Rekonstruktion, sondern eine moderne Interpretation mit historischem Vorbild. Da uns Transparenz wichtig ist, machen wir kenntlich, wo und wie Künstliche Intelligenz eingesetzt wurde. Für den Umgang und die Arbeit mit KI haben wir Leitlinien formuliert.
Menschliche Stimmen und kuratierte Texte
Es werden aber nicht alle Facetten unserer Figuren KI-generiert. Statt computergenerierte Stimmen in der Ausstellung zu verwenden, werden die Mono- und Dialoge von professionellen Sprecher*innen eingesprochen. Während die Künstlichkeit der Visualisierung bewusst gewählt ist, sehen wir den Einsatz menschlicher Stimmen als dringend notwendig an, um einen persönlichen und überzeugenden Zugang zu den Protagonist*innen zu ermöglichen. Auch die Texte selbst werden nicht durch ein generatives Sprachmodell erstellt, sondern von den Kurator*innen sowie einem Dramaturgen inhaltlich und stilistisch erarbeitet. Um eine nahbare, emotionale Ansprache der Besucher*innen zu ermöglichen, wird der „künstliche“ Auftritt der Figuren somit durch real-menschliche Komponenten ergänzt.
Die 8 Protagonist*innenKI-Figuren in UFFRUR!
Götz von Berlichingen
Götz von Berlichingen, der Ritter mit der eisernen Hand, ist wahrscheinlich der bekannteste unter den Protagonist*innen der Ausstellung. Er war ein Ritter vom alten Schlag – kampflustig und den alten ritterlichen Tugenden verbunden. Mit der Welt, wie sie um das Jahr 1525 geworden war, konnte er sich vermutlich nicht anfreunden. In den Heeren der Fürsten galt die ritterliche Kampfweise nichts mehr. Und mit vielen seiner adligen Standesgenossen, die ihr Leben an den reichen Fürstenhöfen zubrachten, wollte er nichts mehr zu tun haben.
Hat er deshalb das Kommando über einen der Bauernhaufen übernommen und die Festung des Würzburger Bischofs belagert? Er hielt sich in dieser Frage sehr bedeckt - verständlich, nachdem die Bauern eine vernichtende Niederlage nach der anderen kassierten. In der Ausstellung „UFFRUR!” wird uns Götz als KI-Figur sicher mehr über seine Beweggründe erzählen.
Margarete Renner trat nicht erst durch ihre Beteiligung am Bauernkrieg 1525 öffentlich in Erscheinung. Mehrfach hatte sich die Witwe aus Böckingen bei Heilbronn in den Jahren zuvor gegen als ungerecht empfundene Zahlungen aufgelehnt. Immer wieder wandte sie sich dabei mit ihren Beschwerden an den Rat oder ihre Leibherren, jedoch ohne Erfolg.
1525 begleitete sie schließlich den „Neckartaler Haufen” als Ratgeberin. Zeitgenössische Quellen berichten über ihre Teilnahme an Plünderungen und an der „Weinsberger Bluttat”. Die Darstellung seitens der Obrigkeit als rachsüchtige und blutrünstige Frau bescherte ihr – in Anlehnung an den Status ihres Mannes als Hofmann – den Beinamen „die Schwarze Hofmännin”. Ihre Leibherren setzten sich nach der Niederschlagung des Aufstands für die inhaftierte Margarete ein. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.
Georg III. Truchsess von Waldburg
Der Adelige Georg von Waldburg, auch bekannt als „Bauernjörg”, war der Hauptgegner der Bauern. Zuvor hatte er als Diplomat, Verwalter und Militär den größeren Mächten in Süddeutschland gedient, bis ihn der Schwäbische Bund mit der Niederschlagung der aufständischen Bauern beauftragte. Georg führte ein wachsendes Heer in das Bundesgebiet, zerschlug mehrere Bauernhaufen in diversen Schlachten, ließ Dörfer angreifen und zwang die Bauern nacheinander zur Unterwerfung. Wo nützlich, führte er Verhandlungen mit den Bauernanführern und zeigte sich kompromissbereit. Auf diese Weise setzte Georg 1525 dem bewaffneten Aufstand ein Ende.
Nach seinem Feldzug machte Georg seinen eigenen Untertanen mehr Zugeständnisse als zuvor, indem er beispielsweise den Freikauf aus der Leibeigenschaft ermöglichte.
Jörg Ratgeb
Der Maler Jörg Ratgeb war in den Jahren vor dem Bauernkrieg Bürger Stuttgarts. Außer in der Württembergischen Residenzstadt war er an unterschiedlichen Orten tätig, unter anderem in Heilbronn und in Frankfurt am Main. Ein Hauptwerk Ratgebs ist z.B. der in der Staatsgalerie Stuttgart bewahrte Herrenberger Altar (um 1519).
Im Bauernkrieg verhandelte Jörg Ratgeb zunächst im Namen der Stadt mit den Richtung Stuttgart vorrückenden Bauern. Zwischen Ende April und Mitte Mai 1525 war er Leiter einer Bauernkanzlei. Nach der Schlacht von Böblingen floh Ratgeb, wurde jedoch gefasst und 1526 wegen Hochverrats durch Vierteilen hingerichtet.
Jakob Murer
Jakob Murer ist der Mann, dem wir die eindrücklichste Quelle der Ereignisse des Bauernkriegs verdanken. Er war Abt des Klosters Weißenau in der Nähe von Ravensburg. Als Abt war er auch Grundherr: Ihm gehörten die Ländereien des Klosters und auch die meisten der Bauern, die das Land bebauten – sie waren Leibeigene des Abtes. So wie anderswo hatten sich deshalb auch die Bauern der Weißenau gegen ihren Abt erhoben, die Abschaffung der Leibeigenschaft gefordert und das Kloster besetzt und geplündert. Murer und die anderen Ordensleute flohen nach Ravensburg, bis der Aufstand vorbei war.
In elf Federzeichnungen hielt Murer fest, wie der Aufstand seiner Bauern begonnen hat, wie sich die Bauern formiert hatten, wie sie das Kloster einnahmen, und wie sie schließlich, nachdem alles vorbei und die Bauern überall geschlagen waren, ihrem Abt und Herrn erneut den Treueeid leisteten. Die „Weißenauer Chronik” wird im Original in der Ausstellung in Bad Schussenried zu sehen sein!
Stefan Rahl
Einer der Bauern aus der Grundherrschaft der Abtei Weißenau war Stefan Rahl. Auch er hat sich mit den anderen Bauern der Weißenau gegen den Abt erhoben und wurde zu ihrem Anführer gemacht. Unter seinem Kommando kehrten die Bauern der Weißenau schließlich im März 1525 den Rücken und schlossen sich dem Baltringer Haufen an, um sich am allgemeinen „Uffrur” zu beteiligen.
Rahl war einer der vielen Bauern unter den Aufständischen, die keinesfalls am Hungertuch nagten: Er hatte vom Kloster einen großen Hof als Lehen verliehen bekommen und es vielleicht sogar zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Diesen konnte er aber als Leibeigener nicht vererben – der meiste Besitz der Bauern, sowie der Hof fielen nach dem Tod an den Grundherrn zurück. Daher ging es Rahl wie vielen anderen vor allem um Grundsätze wie mehr Teilhabe und Mitsprachrecht.
Sebastian Lotzer
Der Memminger Bürger Sebastian Lotzer spielte bei der Zusammenstellung der „12 Artikel” eine zentrale Rolle. Ursprünglich stammte er aus einer angesehenen Familie in Horb am Neckar. Sebastian erlernte – anders als seine studierten Brüder – vermutlich das Handwerk des Kürschners und engagierte sich dann vor allem als Laienprediger und Autor für die Reformation. Mit Flugschriften und teils auch provokativen Aktionen im Stadtraum trug Lotzer zur Verbreitung der evangelischen Lehre in Memmingen bei.
Als wortgewaltiger, bibelkundiger Laientheologe wurde er vom Baltringer Haufen als Schreiber engagiert und brachte im Rahmen der Memminger Versammlung die Forderungen der Bauern auf den Punkt. Sebastian Lotzer floh Ende April 1525 nach St. Gallen in der Schweiz. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt.
Magdalena Scherer
Magdalena Scherer aus Stuttgart fiel 1525 gleich mehrfach durch außergewöhnliche Protestformen auf: Als der vertriebene Herzog Ulrich – der sich mit den Aufständischen zusammenschließen wollte – vor den Toren Stuttgarts lagerte, ermutigte sie verschiedene Frauen, mit ihr gemeinsam von der Stadtmauer aus die Belagerer anzufeuern. Als kurz darauf die Bauern Stuttgart einnahmen, verspottete sie deren Gegner, den Schwäbischen Bund. Magdalena floh, durfte aber zurückkehren – gegen eine Reihe harter Auflagen.
Wer war nun diese Magdalena Scherer? Mit Sicherheit eine Frau, die Menschen begeistern und mitreißen konnte, wie ihr Protest zeigt.